Allein im schwarzen Sonnenschein-eine Rezension zu Joachim Witts "Neumond"
Man könnte ja fast enttäuscht sein ,
dass sich Witt nach seinem großen Comeback derart zurücknimmt und
Martin Engler von Mono Inc. Durchgehend die Musik machen lässt. Es
klingt fast wie der Versuch einer Musealisierung, einer Umwandlung in
ein Produkt Witt, wie es bisher nur wenigen erfolgreich gelungen sein
dürfte. Nur dafür ist Witt mit Text und Stimme doch noch zu
präsent, was man bereits zu Beginn merkt.
Aufstehen, heißt der erste Titel,
welcher mit einem gefühlvollen „Ahhh“ und sich steigerndem
Synthgewusel hin zu dem Einsatz Witts arbeitet. „Der Himmel weint“
und Wogen brechen, Paralyse und Schock regieren das Land, die Umwelt
eines jeden Einzelnen, der gerade eine dunkle Stunde erlebt. Alles
scheint laut Witt konfus („das Chaos ist geboren“) und
aussichtslos oder zumindest soweit aussichtslos, dass eine Bewegung
in jedwede Richtung unheimlich schwer zu sein scheint. In diesem
Moment greift der Refrain, der in eine nicht näher bewertete Zukunft
schaut. „Aufstehen“ werde man, in der finstersten Stunde, wenn
keiner mehr an einen glaubt. Ein Aufruf an das starke Individuum,
lustigerweise jedoch auch ein derart unkonkreter Zeitpunkt, wie jener
der Wiederkunft Jesu. Und man kann es nicht anders darstellen, als ob
Witt hier die Rolle eines Priesters einnimmt. Mit Klavier und
Handclaps geht es mit geradewegs auf die nächste Strophe zu, über
die man sich vorzüglich streiten kann, ob dies jetzt mit den
brüllenden Massen eine kollegiale Katastrophe ist oder doch ein
tiefst persönlicher Zusammenbruch ist und das lyrische Ich hier
verlassen wird. Insgesamt verschärft sich die Situation jedoch
durchweg, wenn man allein schon auf den zuvor erwähnten Druck, dem
der Deich nun nachgibt verweisen will. Aufgebrochen wird dies noch
vor dem Refrain schon mit den neuen Helden, die sich nun beweisen
werden/müssen. Sieht man dies persönlich kann sich fast jeder mit
einer schwierigen Situation im Leben nun mit Gänsehaut die Faust in
die Hohe strecken, will man das als Aufforderung an die Welt
verstehen wird das schon schwieriger. Den entstehenden Zweifeln
entgegen wirkt dann jedoch dann eine doppelt so enthusiastisch
vorgetragene Zwischenstrophe, der sich ein von Sehnsucht
durchdringender Ruf wie durch endlose Alpen anschließt. Drums setzen
ein und geben mehr Druck hinter die sowieso schon epochale Melodie.
Der Refrain wird wiederholt, das Klavier kehrt nach einer Pause
wieder zurück und die zuvor schon sehr im Hintergrund angedeuteten
Streicher mischen zunehmend mehr mit. Zusammen mit dem rufenden Imam
auf Crack ergibt sich so gegen Ende ein großes Finale, bis alles bis
auf einen lebendigen, doch leiser werdenden Synth wieder verstummt
und man am Ende des ersten Titels angekommen ist. Insgesamt ein
ziemlich epochaler Beginn für ein Album, der klar macht, wohin die
Reise gehen wird. Das ist keine NDH und kein verrückter
Stakkatowitt, das ist auch nicht mehr so zurückhaltend wie Dom,
sondern elektronischer Pop des 21. Jahrhunderts mit einem Geistlichen
Witt, welcher einem das Herz zerrupfen will.
Dass das auch einen Track weiter
funktioniert, sieht man an „Die Erde brennt“, welches nach einem
kurzen Quietschen nahtlos in harte Trommelschläge mit Glockenlauten
übergeht. Synths dürfen dazu natürlich ebenso wenig fehlen wie
eine sich dazu gesellende Panflöte. Man wähnt sich verdächtig nahe
dem Kitsch, doch um darüber nachzudenken ist man als Hörer doch
meist zu bewegt. Ein Wort, wie ein Fingerzeig im schwarzen Meer. Ein
Kuss für den Abgesang im Räucherwerk Erde, kurz bevor man nach dem
das Edelweiß bescheinenden Mond in Flammen steht. Ein Bezug zur
Vergangenheit, der Versenkung und dem jetzigen neuen Erfolg?
Vielleicht ist es ja wirklich so, dass für Herrn Witt gerade nochmal
das goldene Zeitalter anbricht, was den folgenden Synth und
Glockenbombast mit Gitarrengedröhne dahinter im Refrain in Ansätzen
rechtfertigen würde, aber eben auch nur in Ansätzen. Folgt man
dieser Deutungsweise reiht sich die Strophe danach mit erhaltenen
Überzeugungen nahtlos ein. Musikalisch gesehen gibt es außer dem
Wechsel von Refrain und Strophenmelodie nur noch ein kleineres
Zwischenspiel zu hören. Das ist ganz nett und natürlich immer noch
ziemlich überdramatischer Pop. Man weiß, weshalb man Mono Inc. für
profillos halten kann. Hier geht es eigentlich nämlich derart wenig
um den Text, als um ein paar markige Worte und gefühlsgenerierenden
Pop. Dass man das hier nochmal zum Sieg der Fußballweltmeisterschaft
promotet hat darf ruhig sauer aufstoßen.
Doch weiter zum nächsten Stück.
Dunkles Synthschnurren, Glocken und Pauken, alles wie gehabt, jetzt
aber einmal in langsam und erhaben. In kleinen Intervallen geht das
Schlagwerkzeug recht dezent zu Werke. Ein kurzes Einhalten und Witt
beginnt. Und irgendwas scheint mit irgendeiner nahen Person, dem
Lebenspartner vielleicht, passiert zu sein. Eine Nachricht kam
jedenfalls. Ich glaube auf youtube hatte jemand erwähnt, dass es
sich um Diagnose Krebs handeln würde. Dergleichen wird jedoch nie
erwähnt Und so könnte es sich genau so gut um Malaria, Tollwut, HIV
oder Ebola handeln. Vielleicht auch um den Tod der Mutter. Wer weiß
das schon. Vielleicht nicht einmal Witt selbst. „Bis ans Ende der
Zeit“ ist Witt allerdings dann doch für die Person laut
herzergreifend vorgetragenen Refrain da. Melodisch bleiben in den
Strophen derweil nur Pauken, zur Einleitung und im Refrain gibt’s
dazu ein paar auf die Glocken. Später komtm auch ganz dezent wieder
der Synthie zum Einsatz. Und mit diesem kehrt auch etwas Glück
zurück in die unglückselige Person. Tieftraurig 2014, Witt war
dabei.Und wer sich davon nicht ergriffen fühlt ist ein schlechter
Mensch.
Helle Töne und Synthyietastenstakkato
leiten dann einen etwas frischeren Song ein. Kurz darauf kommt mit
einer E-Gitarre dann etwas Bombast herein, bevor in der wabernden
Strophe Witt Herrn Englers Text vortragen darf, der von der Bedeutung
einen Hoffnungsgebers, einen Rückhalt und eine Abhängigkeit von
jemandem zugleich beschreibt. Und dieser jemand scheint dabei das
eigene „Herz“ zu sein, ein unterbewusster Gefährte, Symbol für
die tiefsten Gefühle und Ansichten. Etwas, dass man dem Heulbarden
von Mono Inc weniger als dem alten Mann zugetraut hätte. Die
Diskrepanz zwischen Geist und quasi-Seele wird dabei recht schön
durch die Zeile „Lass mich hier nicht zurück im Eis“
verdeutlicht, die auch immer wieder zum Tragen kommt, wenn der eigene
Anspruch ist, etwas angeblich pragmatisch zu sehen, oder in giftiges
Gedankengut fällt. Es ist ein ewiger Kampf und ein ewiges
Zusammensein mit den eigenen Gefühlen, de wie ich finde vorliegend
gut dargestellt wurde.
Was nun folgt ist mein persönlicher
Favorit des Albums. Es regnet in mir-Eine trancige Technostampfnummer
mit tiefer Melancholie, die einem die Rückenhaare aufstellen lässt.
Die Komposition aus einem Thema wie Depression mit einer solchen
Melodie wirkt fast schon paradox, funktioniert aber außerordentlich
gut. Anzumerken ist vielleicht auch noch, dass ein „bleiben einfach
liegen“ als Kommentar zu den unklaren Wünschen es nicht aus dem
Booklet in das Lied geschafft hat. Zu finster, zu hoffnungslos? Who
knows. Jedenfalls ein kleines Goodie für Albumkäufer.
Der ruhigere Knaller ist dann das im
direkten Anschluss folgende „Strandgut“. Auch hier gibt es eine
kleinere Textabweichung vom Booklet, die ich hier jedoch
ausnahmsweise auslassen will. Hier bleibt zunächst die Frage im
Raum, was es denn heißen mag, so wie Strandgut zu sein. Harte
Anschläge pulsieren in Stereo zu Beginn, langsame Drums und Becken
übernehmen dann, doch viel mehr Eindruck als dies oder Gitarren im
Refrain machen auf mich die kleisen (Klarinetten?)klänge welche
insbesondere in Strophe zwei ganz dezent zu hören sind und der dazu
leise gespielte Synthakkord. Das ist musikalisch wirklich sehr fein
gemacht.
Der Text indes scheint wieder einmal im
Kontrast zur Musik zu liegen, insbesondere wenn es etwas lauter
zugeht. Strandgut: Eine wilde Reise und danach: Nichts oder
vielleicht irgendwann doch was, wenn mal eine Flutwelle kommt.
Aufgebrochen, zerschmettert und nun wieder zurück. Die Brücke zum
Menschen zu schlagen ist hier keine einfache Aufgabe und doch gelingt
sie. „Alle Freunde verschwunden“ und das Zuhause auf Sand sind
hier wahrlich meisterhafte Vergleiche. Interessant, dass Witt hier
nichts missen will, letztlich ein Statement, zu sich zu stehen.
Eine schöne Melodie mit kräftigem
dunklen Brummen und viel Gitarrengeschrammel ist dann „Ohne Dich“.
Songs von Verlusten, sie dürfen im Rock nicht fehlen, hier auch
nicht. Dass es nicht so schmalzig wie manche Ballade wird ist den
beiden Machern hier hoch anzurechnen. Eine Träne kann einem das
dennoch aus den Augen drücken. Deutungen sind hier einmal etwas
einfacher herbeizuführen, weshalb ich nicht zuviel Aufhebens darum
machen will. Musikalisch ist hier nichts falsch und vieles richtig
gemacht werden. Ein paar Modulationen der Musik aber der Mitte lassen
auch darüber hinwegsehen, dass der eigentliche Text ziemlich schnell
abgehakt ist.
Im Anschluss kommt nun das Titelstück
des Albums. Erhaben und finster, beschreibt sich Witt selbst.
Thematisch ist dies wohl wirklich der Kern des Albums, da es zu einem
großen Teil um erlebte Geschichte, Emotionen, Eindrücke seinerseits
geht. Rein von der Epik gesehen hätte Witt dies aus meinem
Dafürhalten allerdings auch deutlich besser lösen können. Dass
hier somit nicht mit dem Klang des Stücks schritt gehalten wird,
sorgt nicht für Spannung sondern Enttäuschung. Im wichtigsten aller
Momente kommt hier ein Reim, wie „Wer ist der Klot mit Muttermal?
Der Schüchterne mit Seelenqual?“ Da knirschen nicht nur meine
Zähne. Leider damit der einzige Totalausfall auf diesem Album.
Und mal wieder Chorus zu Beginn, zu dem
sich schnell Gitarrenschrammeln gesellt. Und wir sind mit einem Mal
mit „Spät“ ieder in Synthtechnopop angelangt, der hin und wieder
von lauten elektronischen Zerren unterbunden wird. Letztlich scheint
es auch textlich darum zu gehen, das für und wieder von Ansichten,
zwischen Bestätigung und Widerlegung zu beleuchten. Auch wird die
gegenseitige Ergänzung durch diesen Zusammenprall der Ideen
angesprochen. Sofern als Ergebnis das hoch hinaustreiben zum Ende
steht, ist das „wir haben es versucht“ als ziemlich lustiges
Element zu verstehen.
Was es mit „Dein Lied“ auf sich
hat wird mir aber trotz aller Versuche wohl verborgen bleiben. Ist
etwas beim Taubertalfestival 99 passiert? Ich weiß es nicht und
daher wohl auch nicht was es mit dem Mund aus Taubertal auf sich hat.
Ansonsten ziemlich harter Beat mit frischen Verzerrungen. Dabei kann
man gerne im Takt nicken, bis man sich im Kehrreim ins Paradies
zurückfallen lassen darf. Vermutlich ein guter Titel. Ich kann es
wirklich nicht sagen.
Der letzte echte Titel ist denn das
„Frühlingskind“. Ein bisschen so etwas wie das, was Gruppen wie
die Fanta4 schon mit Troy und anderen Titeln gemacht haben, jetzt
halt nur in Goth. Joachim Witt ist für dich da, du abgebrannte
Depriseele und säht in seinem Vorgarten Blumen für dich. Getragen
von Gesang und einer leichten Melodie ist das alles in allem schön
gemacht. Musikalisch vielleicht sogar einer der schönsten Titel des
Albums und ein schöner Vorabschluss vor dem wirklich finalen
Instrumentaltrack
„Fahnenmeer“, der eine Fortführung
des Openers ist und somit den Bogen über das Album spannt. Eine
runde Sache eben das ganze. Bestens produziert, alles aus einer Hand,
aber ein Überknaller ist es auch nicht geworden. Es ist etwas
gefälliger als Dom, aber auch ein bisschen seichter. Politische
Themen sieht man, wenn dann erst an dritter Stelle. Diesmal geht es
mehr um eine, teilweise ziemlich dunkle Gefühlswelt des Joachim
Witt, die durch Herrn Engler instrumentalisiert und auch
mitgeschrieben wurde. Böse Zungen könnten jetzt behaupten, das Werk
sei beliebig. Das ist wiederum aus meiner Sicht auch nicht, sondern
ein Werk mit eigener Stellung, eigener Thematik und eigenem Wert,
eigenen Stärken und Schwächen, das man auch gut mehr als nur ein
paar Male hören kann, auch nach nun bald einem Jahr seit Erscheinen.