Sonntag, 14. Dezember 2014

Allein im schwarzen Sonnenschein-eine Rezension zu Joachim Witts "Neumond"


Man könnte ja fast enttäuscht sein , dass sich Witt nach seinem großen Comeback derart zurücknimmt und Martin Engler von Mono Inc. Durchgehend die Musik machen lässt. Es klingt fast wie der Versuch einer Musealisierung, einer Umwandlung in ein Produkt Witt, wie es bisher nur wenigen erfolgreich gelungen sein dürfte. Nur dafür ist Witt mit Text und Stimme doch noch zu präsent, was man bereits zu Beginn merkt.

Aufstehen, heißt der erste Titel, welcher mit einem gefühlvollen „Ahhh“ und sich steigerndem Synthgewusel hin zu dem Einsatz Witts arbeitet. „Der Himmel weint“ und Wogen brechen, Paralyse und Schock regieren das Land, die Umwelt eines jeden Einzelnen, der gerade eine dunkle Stunde erlebt. Alles scheint laut Witt konfus („das Chaos ist geboren“) und aussichtslos oder zumindest soweit aussichtslos, dass eine Bewegung in jedwede Richtung unheimlich schwer zu sein scheint. In diesem Moment greift der Refrain, der in eine nicht näher bewertete Zukunft schaut. „Aufstehen“ werde man, in der finstersten Stunde, wenn keiner mehr an einen glaubt. Ein Aufruf an das starke Individuum, lustigerweise jedoch auch ein derart unkonkreter Zeitpunkt, wie jener der Wiederkunft Jesu. Und man kann es nicht anders darstellen, als ob Witt hier die Rolle eines Priesters einnimmt. Mit Klavier und Handclaps geht es mit geradewegs auf die nächste Strophe zu, über die man sich vorzüglich streiten kann, ob dies jetzt mit den brüllenden Massen eine kollegiale Katastrophe ist oder doch ein tiefst persönlicher Zusammenbruch ist und das lyrische Ich hier verlassen wird. Insgesamt verschärft sich die Situation jedoch durchweg, wenn man allein schon auf den zuvor erwähnten Druck, dem der Deich nun nachgibt verweisen will. Aufgebrochen wird dies noch vor dem Refrain schon mit den neuen Helden, die sich nun beweisen werden/müssen. Sieht man dies persönlich kann sich fast jeder mit einer schwierigen Situation im Leben nun mit Gänsehaut die Faust in die Hohe strecken, will man das als Aufforderung an die Welt verstehen wird das schon schwieriger. Den entstehenden Zweifeln entgegen wirkt dann jedoch dann eine doppelt so enthusiastisch vorgetragene Zwischenstrophe, der sich ein von Sehnsucht durchdringender Ruf wie durch endlose Alpen anschließt. Drums setzen ein und geben mehr Druck hinter die sowieso schon epochale Melodie. Der Refrain wird wiederholt, das Klavier kehrt nach einer Pause wieder zurück und die zuvor schon sehr im Hintergrund angedeuteten Streicher mischen zunehmend mehr mit. Zusammen mit dem rufenden Imam auf Crack ergibt sich so gegen Ende ein großes Finale, bis alles bis auf einen lebendigen, doch leiser werdenden Synth wieder verstummt und man am Ende des ersten Titels angekommen ist. Insgesamt ein ziemlich epochaler Beginn für ein Album, der klar macht, wohin die Reise gehen wird. Das ist keine NDH und kein verrückter Stakkatowitt, das ist auch nicht mehr so zurückhaltend wie Dom, sondern elektronischer Pop des 21. Jahrhunderts mit einem Geistlichen Witt, welcher einem das Herz zerrupfen will.

Dass das auch einen Track weiter funktioniert, sieht man an „Die Erde brennt“, welches nach einem kurzen Quietschen nahtlos in harte Trommelschläge mit Glockenlauten übergeht. Synths dürfen dazu natürlich ebenso wenig fehlen wie eine sich dazu gesellende Panflöte. Man wähnt sich verdächtig nahe dem Kitsch, doch um darüber nachzudenken ist man als Hörer doch meist zu bewegt. Ein Wort, wie ein Fingerzeig im schwarzen Meer. Ein Kuss für den Abgesang im Räucherwerk Erde, kurz bevor man nach dem das Edelweiß bescheinenden Mond in Flammen steht. Ein Bezug zur Vergangenheit, der Versenkung und dem jetzigen neuen Erfolg? Vielleicht ist es ja wirklich so, dass für Herrn Witt gerade nochmal das goldene Zeitalter anbricht, was den folgenden Synth und Glockenbombast mit Gitarrengedröhne dahinter im Refrain in Ansätzen rechtfertigen würde, aber eben auch nur in Ansätzen. Folgt man dieser Deutungsweise reiht sich die Strophe danach mit erhaltenen Überzeugungen nahtlos ein. Musikalisch gesehen gibt es außer dem Wechsel von Refrain und Strophenmelodie nur noch ein kleineres Zwischenspiel zu hören. Das ist ganz nett und natürlich immer noch ziemlich überdramatischer Pop. Man weiß, weshalb man Mono Inc. für profillos halten kann. Hier geht es eigentlich nämlich derart wenig um den Text, als um ein paar markige Worte und gefühlsgenerierenden Pop. Dass man das hier nochmal zum Sieg der Fußballweltmeisterschaft promotet hat darf ruhig sauer aufstoßen.

Doch weiter zum nächsten Stück. Dunkles Synthschnurren, Glocken und Pauken, alles wie gehabt, jetzt aber einmal in langsam und erhaben. In kleinen Intervallen geht das Schlagwerkzeug recht dezent zu Werke. Ein kurzes Einhalten und Witt beginnt. Und irgendwas scheint mit irgendeiner nahen Person, dem Lebenspartner vielleicht, passiert zu sein. Eine Nachricht kam jedenfalls. Ich glaube auf youtube hatte jemand erwähnt, dass es sich um Diagnose Krebs handeln würde. Dergleichen wird jedoch nie erwähnt Und so könnte es sich genau so gut um Malaria, Tollwut, HIV oder Ebola handeln. Vielleicht auch um den Tod der Mutter. Wer weiß das schon. Vielleicht nicht einmal Witt selbst. „Bis ans Ende der Zeit“ ist Witt allerdings dann doch für die Person laut herzergreifend vorgetragenen Refrain da. Melodisch bleiben in den Strophen derweil nur Pauken, zur Einleitung und im Refrain gibt’s dazu ein paar auf die Glocken. Später komtm auch ganz dezent wieder der Synthie zum Einsatz. Und mit diesem kehrt auch etwas Glück zurück in die unglückselige Person. Tieftraurig 2014, Witt war dabei.Und wer sich davon nicht ergriffen fühlt ist ein schlechter Mensch.

Helle Töne und Synthyietastenstakkato leiten dann einen etwas frischeren Song ein. Kurz darauf kommt mit einer E-Gitarre dann etwas Bombast herein, bevor in der wabernden Strophe Witt Herrn Englers Text vortragen darf, der von der Bedeutung einen Hoffnungsgebers, einen Rückhalt und eine Abhängigkeit von jemandem zugleich beschreibt. Und dieser jemand scheint dabei das eigene „Herz“ zu sein, ein unterbewusster Gefährte, Symbol für die tiefsten Gefühle und Ansichten. Etwas, dass man dem Heulbarden von Mono Inc weniger als dem alten Mann zugetraut hätte. Die Diskrepanz zwischen Geist und quasi-Seele wird dabei recht schön durch die Zeile „Lass mich hier nicht zurück im Eis“ verdeutlicht, die auch immer wieder zum Tragen kommt, wenn der eigene Anspruch ist, etwas angeblich pragmatisch zu sehen, oder in giftiges Gedankengut fällt. Es ist ein ewiger Kampf und ein ewiges Zusammensein mit den eigenen Gefühlen, de wie ich finde vorliegend gut dargestellt wurde.

Was nun folgt ist mein persönlicher Favorit des Albums. Es regnet in mir-Eine trancige Technostampfnummer mit tiefer Melancholie, die einem die Rückenhaare aufstellen lässt. Die Komposition aus einem Thema wie Depression mit einer solchen Melodie wirkt fast schon paradox, funktioniert aber außerordentlich gut. Anzumerken ist vielleicht auch noch, dass ein „bleiben einfach liegen“ als Kommentar zu den unklaren Wünschen es nicht aus dem Booklet in das Lied geschafft hat. Zu finster, zu hoffnungslos? Who knows. Jedenfalls ein kleines Goodie für Albumkäufer.

Der ruhigere Knaller ist dann das im direkten Anschluss folgende „Strandgut“. Auch hier gibt es eine kleinere Textabweichung vom Booklet, die ich hier jedoch ausnahmsweise auslassen will. Hier bleibt zunächst die Frage im Raum, was es denn heißen mag, so wie Strandgut zu sein. Harte Anschläge pulsieren in Stereo zu Beginn, langsame Drums und Becken übernehmen dann, doch viel mehr Eindruck als dies oder Gitarren im Refrain machen auf mich die kleisen (Klarinetten?)klänge welche insbesondere in Strophe zwei ganz dezent zu hören sind und der dazu leise gespielte Synthakkord. Das ist musikalisch wirklich sehr fein gemacht.
Der Text indes scheint wieder einmal im Kontrast zur Musik zu liegen, insbesondere wenn es etwas lauter zugeht. Strandgut: Eine wilde Reise und danach: Nichts oder vielleicht irgendwann doch was, wenn mal eine Flutwelle kommt. Aufgebrochen, zerschmettert und nun wieder zurück. Die Brücke zum Menschen zu schlagen ist hier keine einfache Aufgabe und doch gelingt sie. „Alle Freunde verschwunden“ und das Zuhause auf Sand sind hier wahrlich meisterhafte Vergleiche. Interessant, dass Witt hier nichts missen will, letztlich ein Statement, zu sich zu stehen.

Eine schöne Melodie mit kräftigem dunklen Brummen und viel Gitarrengeschrammel ist dann „Ohne Dich“. Songs von Verlusten, sie dürfen im Rock nicht fehlen, hier auch nicht. Dass es nicht so schmalzig wie manche Ballade wird ist den beiden Machern hier hoch anzurechnen. Eine Träne kann einem das dennoch aus den Augen drücken. Deutungen sind hier einmal etwas einfacher herbeizuführen, weshalb ich nicht zuviel Aufhebens darum machen will. Musikalisch ist hier nichts falsch und vieles richtig gemacht werden. Ein paar Modulationen der Musik aber der Mitte lassen auch darüber hinwegsehen, dass der eigentliche Text ziemlich schnell abgehakt ist.


Im Anschluss kommt nun das Titelstück des Albums. Erhaben und finster, beschreibt sich Witt selbst. Thematisch ist dies wohl wirklich der Kern des Albums, da es zu einem großen Teil um erlebte Geschichte, Emotionen, Eindrücke seinerseits geht. Rein von der Epik gesehen hätte Witt dies aus meinem Dafürhalten allerdings auch deutlich besser lösen können. Dass hier somit nicht mit dem Klang des Stücks schritt gehalten wird, sorgt nicht für Spannung sondern Enttäuschung. Im wichtigsten aller Momente kommt hier ein Reim, wie „Wer ist der Klot mit Muttermal? Der Schüchterne mit Seelenqual?“ Da knirschen nicht nur meine Zähne. Leider damit der einzige Totalausfall auf diesem Album.

Und mal wieder Chorus zu Beginn, zu dem sich schnell Gitarrenschrammeln gesellt. Und wir sind mit einem Mal mit „Spät“ ieder in Synthtechnopop angelangt, der hin und wieder von lauten elektronischen Zerren unterbunden wird. Letztlich scheint es auch textlich darum zu gehen, das für und wieder von Ansichten, zwischen Bestätigung und Widerlegung zu beleuchten. Auch wird die gegenseitige Ergänzung durch diesen Zusammenprall der Ideen angesprochen. Sofern als Ergebnis das hoch hinaustreiben zum Ende steht, ist das „wir haben es versucht“ als ziemlich lustiges Element zu verstehen.

Was es mit „Dein Lied“ auf sich hat wird mir aber trotz aller Versuche wohl verborgen bleiben. Ist etwas beim Taubertalfestival 99 passiert? Ich weiß es nicht und daher wohl auch nicht was es mit dem Mund aus Taubertal auf sich hat. Ansonsten ziemlich harter Beat mit frischen Verzerrungen. Dabei kann man gerne im Takt nicken, bis man sich im Kehrreim ins Paradies zurückfallen lassen darf. Vermutlich ein guter Titel. Ich kann es wirklich nicht sagen.

Der letzte echte Titel ist denn das „Frühlingskind“. Ein bisschen so etwas wie das, was Gruppen wie die Fanta4 schon mit Troy und anderen Titeln gemacht haben, jetzt halt nur in Goth. Joachim Witt ist für dich da, du abgebrannte Depriseele und säht in seinem Vorgarten Blumen für dich. Getragen von Gesang und einer leichten Melodie ist das alles in allem schön gemacht. Musikalisch vielleicht sogar einer der schönsten Titel des Albums und ein schöner Vorabschluss vor dem wirklich finalen Instrumentaltrack

„Fahnenmeer“, der eine Fortführung des Openers ist und somit den Bogen über das Album spannt. Eine runde Sache eben das ganze. Bestens produziert, alles aus einer Hand, aber ein Überknaller ist es auch nicht geworden. Es ist etwas gefälliger als Dom, aber auch ein bisschen seichter. Politische Themen sieht man, wenn dann erst an dritter Stelle. Diesmal geht es mehr um eine, teilweise ziemlich dunkle Gefühlswelt des Joachim Witt, die durch Herrn Engler instrumentalisiert und auch mitgeschrieben wurde. Böse Zungen könnten jetzt behaupten, das Werk sei beliebig. Das ist wiederum aus meiner Sicht auch nicht, sondern ein Werk mit eigener Stellung, eigener Thematik und eigenem Wert, eigenen Stärken und Schwächen, das man auch gut mehr als nur ein paar Male hören kann, auch nach nun bald einem Jahr seit Erscheinen.