Donnerstag, 26. Juli 2018

Standardwerke der Musikgeschichte: Benoît and the Mandelbrots - Syff002

Seit dem Tag, an dem diese Platte zu mir ins Haus gekommen war, habe ich versucht ein paar Worte darüber zu verlieren und es ist mir bis auf ein paar wenige Sätze über die erste von vier Seiten bis heute nicht gelungen. Und diese paar Sätze sind auf irgendeinem Rechner gelandet, den ich gerade nicht mehr ausfindig machen kann. Höchste Zeit also neu zu beginnen!

Verschiedene Formen unterstreichen den hohen Anspruch des Projekts
Doch worum geht es? Syff002 ist nicht wirklich ein aussagekräftiger Titel, insbesondere wenn man bedenkt, dass dieses Label erst eine 'richtige' andere Veröffentlichung aufweist (siehe Link). Und doch hat man es hier mit einem Dokument nicht nur der Gruppe Benoît and the Mandelbrots, sondern einer ganzen Musikszene namens Live-Coding zu tun. Zumeist mit Leben gefüllt auf sogenannten Algoraves steht dieser Begriff für algorithmische Musik, die zumeist live vor den Augen des Publikums als Visuals programmiert wird. Auch live gecodete Bilderfolgen können dabei ein Teil der Performance sein.

Seit 2009 bildet die hier vertretene Gruppe dabei einen elementaren Bestandteil dieser Szene. Mittlerweile etwas verstreut und inaktiv, kann man nur von Glück reden, dass hier ein Zeugnis dieser sonst nur live anzutreffenden Musikform, abgelegt wurde. Wie es standesgemäß ist, wurden dabei auch die auf der Platte vertretenen Stücke in improvisierten Coding-Sessions erstellt.

Das erste dieser so entstandenen Stücke trägt den Namen der Stadt in der Benoît and the Mandelbrots entstanden und über die größte Zeit ihres Bestehens auch wirkten: Karlsruhe.
Krrr tschhhh schrapschrappsproing
Mit leichtem Tuten und knarzen, das sich aus Schallplattenknistern herauskristallisiert fängt das Stück an. Eine lauter werdendes Loungethema fließt aus dem Hintergrund dazu und haftet als dauerhafte Ambientstimmung zur Verbindung und Übertönung des Piepens und des Klackerns zwischen Ratsche und Fahrradspeichen, welches im späteren Verlauf um Geräusche wie fallende Steinchen ergänzt wird, bevor sich der Klang hinter der wabernden Ambient-Soundwand stetig zurückzieht. Diese wird dabei teils etwas schriller teils mit düsterem Timbre versehen und bildet mit leichten Windspielglöckchen im Hintergrund das bestimmende Motiv in der zweiten Hälfte, in der diese dann auch träumerisch-nostalgischer und leichter, fast elysisch-erhaben wirkt. Insgesamt ein sehr leichtes träumerisches Stück, das man vielleicht am ehesten mit einem warmen Sommertag in der Fächerstad assoziieren kann.

A
Guritchi/ That did it geht dem entgegen vollkommen ungelenk schnatternd los. Glitchbassboxstimulanzien und gefühlte 1000 Sprungfedern, die entfernt an das Intro von Bela Lugosi's Dead erinnen, erwarten den Hörer zu Beginn. Ein rauschendes Stampfen tritt dazu wie von überlasteten Rechnern und beschwört ein Inferno aus modularem Geräusch und schreienden Industrienadeldruckern herauf, ehe das Stück in diese Noisegewitter endet. Kurz gesagt eine entsprechend des Titels Glitchvariante des Codemöglichen.

B
Auf Seite B folgt mit Tranceportation der Dance-Titel des Albums. Mit Stimulanzien, die an Tropfen auf umgedrehte Plastikeimer erinnern, startet ein mitreißender Track mit treibendem Beat unter Leitung einer oszillierenden flächigen Leitmelodie über Höhen und Tiefen, schnelle und langsame Fahrgewässer. In einem einlullenden Moment übernimmt schließlich der Beat die Leitung und erinnert an die Ravemusik des Kollegen und Labelchefs Dunard. Etwas wilder treibt der Track mit einigen Rauscheblitzen und Beataneinanderreihung dem Höhepunkt entgegen, nur um sich zwischendurch nochmal Zeit für Pausen und Modulationsspielchen zu nehmen. Verfremdetes Zuggeheul und Dampf machen das Warten auf den Drop unerträglich
und dieser kommt denn auch nicht. Stattdessen sinkt der Track zurück ins nichts.

Nach einer Pause kommt als Zwischenspiel lautstark anschwellendes Brummen, das in Folge etwas gedämpft wird, aber mit Bearbeitung kratzende Soundintervalle mit einem leichten Hauch vorbeiziehender Düsenjäger bildet.

Auf Platte zwei beginnt es recht düster kammermusikmäßig in Classic. Telefontuten und ein Stil, wie man ihn vielleicht von experimentellen 80er-Jahre-Synthiegruppen kennt. Ein blubbernder Synthiesound steigert sich stoppt und fängt von neuem an, wird lauter, löst sich in einem
C
trackbestimmenden Krisseln und Hintergrundstörgeräusch auf aus dem zwischenzeitlich ein hallreiches Hämmern hervorgeht. Bei allen weiter auftretenden, weiter hallreichen Effekten, bleibt dabei der gediegene sanfte Stil erhalten, der irgendwann auch wieder etwas an den Eingangstrack Karlsruhe zurückerinnert. Sanft endet der Track mit letzten Piepgeräuschen, nachdem der Sound von Flammengeräuschen weggebrannt wird.

Im Folgenden sehr stressig und schnell geht Gurke voran. Kleine gestockte Mikrogeräusche geben neben Helikopterartigem einen schnellen Schritt vor unterdessen mit Meeresrauschen ein Tuka-Tuka-Rhythmus hinzukommt. Von links, rechts, oben und unten geht so ein wildes Getrommel und Flipper eine Symbiose ein. Die aufblitzenden Glitschschrittvorgaben werden kratziger und schnarrender, das wild Potpourri stärker. Einige Zeit treibt diese überfordernde Dengelei weiter ihr Unwesen, bis frisch brechendes Glas im Vordergrund die letzten tiefen Metalleinschläge zur letzten Ruhe begleitet. Noiseartig lebendig mit Remniszensen an IDM lässt sich der Stil zusammenfassend noch am ehesten beschreiben.

Grainface entwickelt sich aus Drones wie aus der Höhle. Elektronische Zuckungen, wie Rufe unbekannter Fledermäuse reihen sich ohne Pause aneinander, während der Höhlendrone medi
D
tativ durchgehend weiterwirkt. Dessen Entwicklung geht gen Gong mit schleichender Fortführung in esoterisch-mystische Gefilde, spätestens erkennbar wenn Klänge wie von Schellen zu vernehmen sind. Der ruhige Track zum Räucherstäbchen abbrennen lassen wird im späteren Verlauf mit synthetischen leichten Datengewittern angereichert. Ma assoziiert gespielte Sägen, die teils über den sich monoton wiederholenden Hall legen. Der Track wird mit diesen stark künstlichen Elementen leicht belebter, zu einer Art Fiebertraum, wie ihn schon das Maserngesicht als Titel nahelegt. Zum Ende flaut der Track wieder ab und in die rituelle Grundstimmung zuvor zurück.

Als Outro: Glockengeläut.


Als Download sind noch weitere Titel anzutreffen, welche im Folgenden jedoch nicht besprochen werden. Stattdessen soll der Versuch eines Fazits dieses Albums unternommen werden. Ein nicht ganz so einfaches Unterfangen, denn ein klassisches Album ist syff#002 sicherlich nicht. Verschiedenartigste komplexe Soundkompositionen lassen kein Leitthema oder übergeordnete Idee erkennen, klassische Übergänge zwischen den Stücken sind schwer bis gar nicht auszumachen.
Trotzdem bietet jeder Titel für sich eine anregende Reise in die digitale Kunstklangwelt des Live-Codings, wobei die fehlende Gesamtidee zur Stärke wird. Das Album bietet so nämlich einen Rundumschlag dessen, was mit algorithmischer Musik geboten werden kann und ist so hör- und erlebbares Dokument der sonst so flüchtigen Live-Szene, das man sich ohne Reue in das heimische Regal holen kann: Musik zum Musik erleben und Tranceportation als Part jedes guten DJ-Sets.

Sonstiges: Das Album kommt als Doppel-Vinyl in aufklappbarem Packung mit Live-Visual-Ästhetik versehen. Dazu gibt es einen innenliegenden Downloadcode für die Tracks der Platte + Download-only tracks (Achtung! Download ohne die Kurzen Endexperimentalstücke auf den Seiten B und D).

Bestellbar ist die Platte augenblicklich auf der bandcamp-Sdeite des Labels sowie bei den dort aufgelisteten Shopseiten:
Syff

Sonntag, 1. April 2018

Arbeit? Arbeit Arbeit. Zur Arbeit I von RLW und PAAK

Zum Osterabend bin ich endlich einmal wach genug gewesen und habe die richtige Stimmung und Zeit gehabt, die Platte "Zur Arbeit I" auf den heimischen Teller zu legen. Zwar habe ich sie mir schon einmal zu Gemüte geführt seit den zwei Monaten, in denen sie in meinem Besitz ist, aber Genuss und Verständnis solcher Musik lassen dann doch etwas zu wünschen übrig, wenn man eigentlich schon dabei ist ins Bett zu fallen. Denn mit einer Sache kann man sich bei Veröffentlichungen des Augsburger Labels attenuation circuit sicher sein: Easy Listening bekommt man von dieser Seite nicht serviert. Und das ist auch gut so!
Gleichwohl hat man es in meinen Augen mit den vorliegenden Kompositionen mit Hintergrundmusik zu tun. Ein Zitat Karl Marx' bildet die einführenden Worte des Begleittextes der Platte. Der Arbeiter, "der seine eigene Haut zu Markt getragen hat und nun nichts andres zu erwarten hat als die - Gerberei", bildet den Leitgedanken des Albums, ergänzt um die Erleichterungen des 20. Jahrhunderts wie "Schnaps, Kantine & Sozialwohnung", zwei davon vertont auf dem Tonträger, die jedoch im 21. Jhdt. z.T. wieder wegfielen, zugunsten der Gerberei.

Bedeutungsschwangere Erklärungen zu Ralf Wehowsky, der hinter RLW steckt lasse ich einmal beiseite, da das von meiner Seite vorgeheucheltes Wissen wäre und jene, die dies erwarten, werden ja wohl selbst genug über ihn wissen.

Seite 1

Auf Schnaps jedenfalls jedenfalls kann man zwei unterschiedliche Motive erhören. Eines ist an der Straße mit geschäftigem Treiben zu verorten. Hupen, das Meer, etwas sirenenartiges (Anlieferverkehr?) ist zu vernehmen und wird abgelöst durch wirres Klaviergeklimper und umgekehrt. Arbeitsalltag und vermeintliche Erleichterung, zwei Teile, die mit vorbeischreitender Zeit immer weniger auseinanderzuhalten sind. Die klimpernden Phasen wirken dabei immer ekstatischer und nehmen Oberhand. Doch erhaben
Plitscheplatsche - welch feuchtfröhliches Cover
klingen sie nie, sondern stets billig, schräg, gedämpft und bieder, dabei jedoch auch aufdringlich. Eine Mischung aus gedämpftem Unterwassertotentanz à la Neue Rungholter Tänze, Sonntagsradio und mit späterem Einsetzen der Rhythmusbox auch Disco. Die konkreten Werkszenen lösen sich auf in dieser Masse, werden von Rauschen übertönt und verschwinden im weiteren Verlauf nahezu restlos in einem Delirium der Unterhaltung, in das falsch geblasene Engelsflötentöne gelockt haben. Klassische Streicher, vermutlich aus einem Kinoschinken, begleiten das Drama, bis es am Ende in lautem Rauschen und Wellenschlag endet. Blackout oder Kopf über der Toilette, wer weiß das schon? Gleichzeitig kommen wir wieder zurück in die Realität und damit vermutlich zur Arbeit. Wenig gruselig, doch etwas verstörend endet die Reise in tägliche Tristesse, durchbrochen von Genüssen, die eher sedierend denn erholend wirken. 

Seite 2


Es ist blau
Da kann dann vielleicht wenigstens die Kantine auf Seite 2 Abhilfe schaffen. Küchenchef dieser ist PAAK. Was dabei allerdings aus den Boxen hämmert, wirkt eher nach Arbeitermassen, die sich den Fleischtöpfen entgegenschieben. Wabernde Störgeräusche, Hämmern und Kratzen wirken eher, als sei man in einer Fabrikhalle. Einzigen Ruhepol bieten Gesprächsfetzen von Menschen, bei denen teilweise nicht klar auszumachen ist, ob mn es mit Gesprächen oder einem *omnomnom* als Zeichen schnellen Schlingens und Kauens zu tun hat. Als Komposition bietet der Titel eine leicht unheimliche Soundlandschaft, mit ein bisschen Veträumtheit und einem PVC-Boden-Charme Marke 70er Jahre.

"Arbeit, Arbeit, Arbeit. Arbeit? Arbeit!", so startet der letzte Titel des Albums "Gerberei". Dumpfe hallende Geräusche geben einen nicht mitreißenden Beat vor und mischen sich mit Arbeitsgeräuschen von Sägen und Signaltönen. Im ersten Abschnitt laut, dann immer gedämpfter, darüber gelegt eine triste getragene Melodei, die entfernt an den Schnaps von Seite 1 erinnert. Leicht beruhigt melancholisch gehen diese beiden Ströme eine Melange ein, dazu als Kommentar: "Arbeit? Arbeit, Arbeit, Arbeit." Alles verliert sich langsam mit etwas space-artigen Klängen und wiedereinsetzendem Anfangsbeat, dann kommt nach Pause Teil drei. Die melancholische Klangkulisse wird übertönt von nun wieder lauteren Werkgeräuschen, die nun wesentlich härter klingen. "Aaaarbeiit" tönt es dazu nun langsam und kraftlos. Die Haut scheint endgültig dem Markt geopfert zu sein. Etwas zieht es sich noch hin, dann ist es vorbei.

Fazit

Sie glauben an nichts mehr? Hier finden Sie Halt.
Was bleibt zu sagen: Eine Schallplatte, ein Kommentar und zwar kein positiv ausfallender über verlorene Arbeiter, die sich der Arbeit hingaben. Ernüchternde Darstellungen von vermeintlichen Segnungen, Orte vorausgeplanter Freude: Massennotbeglückungsanstalten für die Mittagspause, dazu nach Feierabend Produkte zur Ruhigstellung. Glück in geregelten Bahnen, Glück in Schnapsgläsern, die sich hier mit Wellengeräuschen reingekippt werden: Zur Arbeit I liefert keine großen Schrecken, keinen Mittelfinger an die Arbeit, aber dafür einige Szenarien klanglich umgesetzt, die trotzdem dem Motto "Arbeit ist scheiße" genügend Futter geben, nur auf eine äußerst dezente Weise.

Aber gibt es auch noch etwas außerhalb des Kommentars? Abgesehen von Botschaften ist die Stimmung, die diese Platte musikalisch innehat schwerer zu vermitteln und doch greift aus meiner Sicht heraus der Begriff 'erdend' am ehesten. So aufwühlend amelodisch Schnaps in Teilen auch ist, ist es doch der Anfang einer Spirale nach unten. Etwas aufwendiger als Ambient über zum Teil industrialartige Episoden und Klassik hinweg liefert diese Musique Concrète-Kollaboration ein unwohles Gefühl in der Magengrube kurz vor ins Bett schluchzen. Die perfekte Musik für den anspruchsvolle Musik liebenden Goth an einem Sonntagabend, bevor es am nächsten Tag wieder "zur Arbeit" geht und Zyniker, vielleicht auch noch ein paar andere Menschen.

Geliefert wird die Platte in dunklem, (schwer) durchsichtigem Blau mit Informationsblatt über Auflage, Beteiligte, verwendete Musikunstrumente und der eingangs erwähnten Erklärung. Dazu gibt es eine nummerierte Plastikhülle und einen Downloadcode.

Montag, 12. Februar 2018

Audiotrauma Fest 2k18 - Eindrucksverarbeitung

Vor ein paar Jahren fing es an, im Zuge der Frage, ob und was man gemeinsam unternehmen könnte erwähnte ich halb im Spaß einem Freund gegenüber das erste Audiotraumafest. Das Label hatte ich eigentlich nur durch Sonic Area gekannt, den ich einmal für das AKK in Karlsruhe gebucht hatte und wollte zufällig davor nachschauen, was dieses Label sonst noch macht, wobei gerade zu dieser Zeit Tickets für die erste Ausgabe verkauft wurden. Für etwas über 60€ gab es das volle 2-Tage-Programm inklusive Hostel inmitten der Prager Innenstadt. Mein Freund hatte dann tatsächlich auch Bock und so fuhren wir damals.

Ich bin bis heute kein wirklicher Festivalfan, die Fahrt ist weit, Geld muss gewechselt werden, man ist im Ausland und muss seine Sprachskills wieder schärfen.

Es war nun das dritte Audiotraumafest, ich war das dritte Mal dort.

Warum? Weil es passt. Coole Leute, tolle Stadt und ein Line-Up das von hypnothisch sphärisch bis völliger Elektroindustrialwand alles liefert, was man sich erträumen kann. Über die zwei Tage Festival im Club Nová Chmelnice will ich im folgenden Text gerne ein paar Worte verlieren:


Freitag


Etwas nach 18:00 Uhr schlendern wir entspannt in den Club und wechseln die Tickets um in Bändchen. Im Hauptsaal versuchen Menschen noch einen Beamer aufzuhängen. Die Halle ist noch leer, was DJ K.oz nicht davon abhält bereits aufzulegen. Dezente Beats stimmen auf den Abend ein und so langsam strömen ein paar Leute herein, während schon Aleph mit flüssigem Übergang den DJ an den Pulten beerbt und seinen Liveauftritt beginnt.
Sehr ruhig gehalten wird vollelektronisch Musik zusammengesetzt. Sehr smooth das ganze, ja hypnotisch würde man fast meinen. Das Ganze bat nicht auf die Tanzfläche, versuchte auch erst gar nicht wie normale Warm-Up-Bands das Publikum anzuheizen. Stattdessen saß man auf den wenigen Stühlen am Rand und konnte sich des Gefühls nicht erwehren an der Bar zu sitzen und sich ruhig den Tag durch den Kopf gehen zu lassen. (Achtung! Kein Vergleich mit Musik, die in Bars gespielt wird)

Danach übernahm r.roo und hatte ich nach Hören des Albums Shilly Shally, das äußerst ruhig und unterkühlte elektronische Musik bot, jetzt eine noch weitere loungisierung des Abends erwartet, war dieses Set tatsächlich überraschend warm und in Teilen tanzbar. Zu hören war guter Minimal Electro, mit teils lustigen Passagen, die etwas an Leierkastenmusik auf Jahrmärkten erinnerte und ihren Teil zu diesem überaus interessanten Set beitrugen, das mit sehr reduzierten Mitteln sehr viel erreichte.

Das Duo Ex_Tension, welches im Anschluss auftrat hatte mit mit einem Keyboard und Synthesizer mehr Technik auf die Bühne gebracht. Zu hören waren etwas härtere Beats in rhythmischer Manier, angereichert durch einige Noise- und Halleffekte, die der Keyboarder beisteuerte. Vielleicht schon als EBM bezeichbar, kamen hier jedoch immer Nuancenänderungen und Effekte dazu, die das ganze nie zu stumpf wirken ließen. Etwas irritierend waren die etwas ausschweifenden Gesten und Gepose der beiden, insbesondere des Keyboarders, sobald eine Pause an den Geräten möglich schien, was bei der Qualität der Performance allerdings verzeihbar war. Eine Fanbase, die das goutierte gab es den Reaktionen entsprechend zudem vor Ort.

Mit Architect war im Anschluss einer der großen Namen des Festivals am Start. Meine Erwartungen waren dennoch nicht allzu hoch, auch weil ich nicht allzu viel im Vorfeld davon gehört hatte, aber deutscher Industrial allzu oft in meinen Augen aus stumpfem langsamen Techno ohne besonders viel Abwechslung bestand. Zum Aufbau wurde denn auch der Beamer in Position gebracht, der allerdings später als der Architekt sein Video vorstellen wollte nicht funktionierte. Ob das am Gerät oder an einem anscheinend neu hinzugekommenen Balken, der mitten im Lichtstrahl hing lag, war als Außenstehender schwer nachzuvollziehen.
Mit aufgebaut wurden auch zwei massive Bodentrommeln und ich sah meine schlimmsten Befürchtungen schon bestätigt, spätestens als der Bass laut ertönte und der Bass den ganzen Saal zum Vibrieren brachte. Was dann jedoch geschah waren Breaks, Verzerrungen, Scratches und Live-Remixqualitäten des eigenen Werks allererster Güte. Mit wenig Mitteln legte Architect einen euphorisierenden Auftritt hin, mit einer Bühnenperformance voller Lebendigkeit, die nicht zuletzt auch aufgrund des Körperbaus überraschte. Lieder wurden unterbrochen und neu gestartet mit neuer Bearbeitung, die Trommeln wurden beinahe in die Knie gezwungen und all das sorgte dafür, dass es eben nicht einschläferndes Gewummer, sondern vitalisierender Noize (mit z) wurde und mit einer der besten Acts des Festivals.

Gleiches lässt sich aus meiner Sicht von Moaan Exis (soll das mehr als moan axis oder moan(ing) excess gedacht sein?) nicht behaupten. Zwar hatten diese sicher eine gute Grundausstattung mit Synthie und einem vollen Drumset, das sie auch zu bedienen wissen. Dem monotonen Geprügel, das aus beiden Tonerzeugern kam, konnte ich allerdings auch beim letzten Mal bereits nichts abgewinnen. Dass der Beamer streikte bewahrte den Zuschauer in dieser Ausgabe vielleicht auch vor den repetitiven Pornokaleidoskopen, welche das letzte Mal genauso einfallslos die ganze Zeit in Dauerschleife liefen. Vielleicht braucht man da einen besonderen Zugang, wenn man den Vibe spürt, es gibt ja durchaus eine Fanbase, doch immer dann wenn Kunstpausen waren, oder vielleicht mal eine Änderung, eine Bereicherung des Sounds angemessen gewesen wäre, war die Antwort doch stets nur lauter und heftiger weiterzuprügeln. Und auch Moaan Exis sparten nicht am Gepose mit ihren nackten Oberkörpern, im Gegensatz zu Ex_Tension aber wesentlich weniger gerechtfertigt.

Und dann war noch ein großer Name im Rennen: Ambassador21. Hatte ich im Vorjahr noch zu Elektrodauerfeuer von Illegal Trade abgespackt, war diesmal das Hauptprojekt zu Gast. Mit Gitarre und Schlagzeug als Verstärkung zur Elektronik, wurde ein düsteres Gewitter stampfender elektronischer Musik abgeliefert, zu gesprochen-geschrienen Lyrics. Am ersten Abend, zugegebenermaßen leicht überfordernd nach einem ausgedehnten Lauf durch die Prager Innenstadt, aber überfordernd muss dieser Stil ja auch sein. Das bekamen sie auch gut hin. Die paar Minuten, die ich dann mithalten konnte waren auch äußerst befriedigend. Ein Auftritt voller Energie, Kraft und, man sollte es nicht meinen, auch Musikalität.

Zu den Klängen von DJ Paradroid, der durchaus nicht schlecht war, ging es zurück gen Hostel.


Samstag


Diesmal etwas später hineingekommen, bekam man noch etwas von DJ S. Alt mit, der als Herr an den Decks die meiste Zeit mit den Händen hinter dem Rücken stand. Mehr brauchte der Großmeister des ant-zen Labels auch nicht für ein ansprechendes Set aus Industrial.

Den Abend eröffnet im Anschluss Amesha Spenta. Die elektronische Musik mit einem ordentlichen Schuss Orient versetzt, bot eine Wohltat für die Ohren. Dabei war die Live-Performance, was das elektronische anbelangt recht reduziert, da allem Anschein nach außer dem gelegentlichen Starten von Presets nichts geschah. Das erklärte sich jedoch alsbald, als zur Gitarre gegriffen wurde und mit virtuosen Walls of Sound eine Symbiose mit den Klangstrukturen aus dem Computer geschaffen wurde. Ein guter Einstieg in Abend zwei.

Was dem folgte, toppte das ganze aber noch einmal spielend. Mit Atonalist war ein Duo anwesend, deren Musik genau der Grund ist, weshalb das Audiotrauma Fest so eine gute Adresse ist. Hier gibt es noch Klangkompositionen im Bereich der Unterhaltungsmusik, die tatsächlich noch neu und unverbraucht klingen. Im Falle von The Atonalist wurde mittels Bassklarinetten, Saxophon, Gitarre und Trompete die Klangfassade, die aus Ambient, Drone, Industrial und auch mal Noise bestand ergänzt. Ebenfalls vom Band kam die Stimme Gavin Fridays. Wie das zusammenpasste, wird man in Schriftform kaum erkennen können. Funktioniert hat es allerdings sehr wohl. Ein Groove zwischen moderner E-Musik, Free Jazz und treibender elektronischer Rhythmik und Arhythmik. Eine Erfrischungskur für Geist und Körper gleichermaßen und für mich auch der beste Act des gesamten Festivals. Wenn man es noch nicht getan hat, sollte man sich diese Gruppe unbedingt einmal anhören.

Übertreffen konnte das die im Anschluss spielende Ecstasphere dementsprechend nicht. Im Gegenteil war es schwer einen Zugang zu finden. Zwischen Industrial und IDM wurde versucht zu wandeln, aber es wirkte gleichzeitig so, als habe man von allem zu viel auf einmal gewollt. Lyrics, halbgares Gitarrenspiel, Synthesizer und zwischendrin Stampfpassagen, was allles allzu oft wie zufällig hingewürfelt wirkte. In schlechten Momenten wirkte es so, als wäre man auf dem 0815 Cybergothfloor aufgewacht. Andere Momente wirkten dann, als hätte man einen nicht so guten Remix von Sonic Area-Stücken vorgenommen. In der zweiten Hälfte war ansatzweise Potential erkennbar, aber überzeugend war dieser Auftritt nicht, wenn auch besser als Moaan Exis.

Auch keinen wirklichen Zugang wollte mir zu dem Duo Cardinal Noire gelingen. Zwar brachten diese eine solide elektronisch-experimentale Basis für ihren vordergründigen Stampfbeat zustande, auf den geschrien wurde. Einen etwas hölzernen Eindruck vermied dies aber nicht, auch nicht, dass der Auftritt dann doch einige Längen mit sich brachte.

Das war hingegen bei den folgenden Chrysalide wie auch die letzten beiden Male nicht der Fall. Ich weiß nicht, ob ich persönlich jemals wirklich mitgegangen bin. Und auch dieses Mal, schaute ich mir das ganze auch wieder vom Rand an, während die Kernband von audiotrauma aufdrehte. Erst mit dem klassischen Intro „Who's still alive“ und „Traders must die“, danach wild durch das Schaffen hindurch. Geshoute und Harsh Electro der allerbesten Sorte, klassisch verschmierte Gesichter und eine Meute, die in völlige Ekstase geriet, ließen das dann allerdings auch von außen ein ziemliches Spektakel werden. Eine brutale Soundkulisse, gepaart mit den ersten Crowdsurfingeinheiten von Arnaud Coeffic bis zur Bar am anderen Ende des Saales machten aus der Performance ein umschmetterndes Kraftpaket.

Das Finale boten Horskh mit einiger Verspätung nach dem Intro, was aufgrund der Länge der Pause wohl eher technische Störung als Kunstpause war. Mit Schlagzeug und oberkörperfreiem Trommler sowie einer Person am Synthie ausgestattet, boten sie ein ähnliches Bild wie Moaan Exis, zeigten allerdings auch, wie man so etwas dann in gut aufziehen kann. Zwar gab es auch hier ein elektronisches Brett vor den Latz geknallt und gab der Trommler alles, aber immer um Abwechslungsreichtum bemüht und aufgelockert durch Lyrics. Eine Zuschauerschar, die noch einmal alles gab und den Sänger in Akkordarbeit auf Händen trug, waren der Dank dafür. Etwas übertrieben wurde es allerdings, als fast die Ausrüstung des angestammten Audiotrauma-Filmers bei einer zuschauerinternen Surfaktion in die Brüche ging. Kratzig, Harsh und beatbetont gestaltete sich so die letzte Runde des Auditraumafestivals. Horskh boten definitiv einen würdigen Schlusspunkt unter eine ganze Reihe bemerkenswerter Bands.

Danach gabs allerdings noch etwas Aftershowgetanze zu DJ 141. Hatte dieser beim letzten Audiotraumafest noch das Pech aufgrund der zu früh beendeten Warm-Up-Party stehts auf den nächsten Tag vertröstet zu werden und so am Ende komplett ausfiel, durfte er dieses mal endlich sein Können unter Beweis stellen. Breakcore und Drum'n'Bass standen dabei auf dem Speiseplan, der tatsächlich noch einmal einige müde Knochen aufleben ließ, bevor es dann auch aus Rücksicht auf die am nächsten Tag folgende Heimfahrt etwas vor Schluss zurück zum Hostel ging.

Fazit


Zum Abschluss bleibt zu sagen: Wieder ein herausragendes Festival, selbst wenn nicht alle Acts überzeugten, bei solch einer Anzahl von Acts ist das auch aufgrund von Geschmacksunterschieden nicht auszuschließen. Es war unterhaltend, hat vielen Projekten eine Bühne geboten, die sonst nicht Mainstream genug sind und es hat neue Perspektiven auf populäre elektronische Musikgenres geworfen, bei denen man allzu oft wirklich progressive Abwandlungen vermisst. Ich hoffe jedenfalls auf eine Neuauflage im nächsten Jahr und auf viele coole Releases dieses Labels bis dahin. Ohne Audiotrauma würde eindeutig etwas fehlen.