Nach dem audiotrauma fest und dem
re:flexions Festival stand am Wochenende vom 24. bis 27.11. das
dritte und definitiv größte Festival des Jahres für mich an. Für
mich sollte es dank eines Gästelistenplatzes für ein auch sehr
gutes Dorau-Konzert am Donnerstag, erst am Freitag beginnen.
Ankunft
Am Donnerstag ging es um kurz vor zwei
nur noch ins Hotel, dessen Eingangstür ich möglicherweise etwas
unterschätze. Ein Gast aus dem dritten Stock meldete sich, stellte
Fragen von oben vor den Hauseingang, wie die, ob man alleine
unterwegs sei und erklärte, er würde am nächsten Morgen mir
irgendetwas zeigen. Ich dachte noch, dass die Lautstärke ein Problem
sein könnte, nachdem er mir unterstellte dreimal statt zweimal zum
Zimmer gelaufen zu sein, bot an, darauf zu achten ruhiger zu sein,
aber sein Interesse daran war anscheinend nicht sehr ausgeprägt,
genauso wenig wie die Frage, ob er mit seinem angestoßenen Dialog
nicht selbst wiederum andere Gäste stören könne. Eine liebreizende
Begrüßung im schönen Mannheim. Mit dem Hintergedanken einer
lehrreichen Vorlesung am nächsten Tag schaute ich dennoch kurz beim
Connexion Complex vorbei, ob die Party noch am Laufen war. Sie war es
leider nicht. Also zurück ins Hotel und ins Zimmer um noch eine
Runde zu schlafen.
Der Freitag
Freitag kurz nach 6 Uhr abends. Ich
verließ das Hotel. Dem Menschen vom Vorabend war ich nicht begegnet,
vermutlich habe ich verschlafen, wie das halt im Studium teils nicht
allzu anders war mit dem ersten Block. Zeit zum Bedauern blieb aber
keine, das NOL wartete. Dachte ich und dann wartete doch ich: Der
Einlass verzögerte sich. Kurz darauf war Stromausfall, lauschte man
eben Geschichten von anderen in der Schlange, auch interessant.
Immerhin vor 19 Uhr ging's dann rein.
Mit Getränkegutschein als Entschädigung und kurz darauf einem Gin
Tonic in der Hand. Während des letzten Soundchecks nutzte ich die
Zeit den Merchmarktplatz zu durchstreifen und die üblichen
Verdächtigen zu grüßen.
Nach dem Lösen letzter technischer
Schwierigkeiten konnte [basementgrr] starten. Ich hatte gewusst, dass
dieser Act zum Raumklang-Label gehörte, das ich mit äußerst
ruhigen sphärischen Releases im Gedächtnis hatte, die rhythmische
Elemente, wenn, dann auf einem Level betrieben, das konform zur
Nutzung als Hintergrundbeschallung und Pausenmusik war. Entsprechend
überrascht war ich auf etwas härtere Beats zu treffen, nahezu
tanzbar, aber auch mit ruhigen und komplexen Passagen verwoben.
Insgesamt ein äußerst ansprechender Start in den Abend, auch
hinsichtlich der Visuals auf zwei Leinwänden hinter den Künstlern,
welche fast bühnenfüllend waren.
Nach kurzem Gang auf den Dancefloor
folgte TE/DIS. Ein Einzelprojekt, das reduzierte Hip Hop Beats mit
düsterem Grundsound verbindet und mit Spoken Word mischt. Die
vornehmlich tristen Fotos in schwarz-weiß und einer Ästhetik
verlassener Orte sollten mich dabei so wenig wie die nicht sonderlich
wortgewandt wirkenden Englischfetzen, die ich mitbekam (müsste man
vielleicht nochmal nachlesen) oder die ganze auf die Theatralik der
angeblich bedeutungsschwangeren Texte abzielende musikalische
Gestaltung überzeugen. Ergo Zeit zum Shoppen (Überraschung in der
Grabbelkiste des Luidsprekers: Eine Charles Lindbergh n.e.V.-CD,
geil!) und für einen Wechsel auf den Tanzflur mit geschmackssicheren
DJs. Beim nochmaligen Durchlaufen der Halle wurde stoisch bei jeder
vollen Note auf die Digitaldrum gehauen. Diese Spannung, diese
Emotionalität hielt ich nicht aus und machte Pause an der frischen
Luft.
Danach S.K.E.T.. Nettes Gewummer,
angeraute Sounds in schnellem Tempo. Es waren weithin Strukturen des
Drum 'n' Bass erkennbar, die von einem stampfenden Grundbeat
überlagert wurden, der auch ältere Semester der Rhythm'n'Noise
Szene zufriedenstellen dürfte. Die Halle hat sich inzwischen
einigermaßen gefüllt, das Duo auf der Bühne heizte zu Visuals aus
Liniennetzplänen ordentlich ein. Tanz und Dauerapplaus waren der
Lohn. Insgesamt ein Auftritt, auf den auch ich mich einlassen konnte.
S.K.E.T. sind sicher nicht der bewusstseinserweiternde Act, der
Grenzen sprengt, aber einer der Spaß machte, ohne zu sehr zu posen.
Nachdem ich dies in mein Notizbuch
gekritzelt hatte folgten auch schon Synapscape. Rauschen, Beats,
Soundscapes in fast orchestraler Art und Weise und verzerrte Stimmen.
Gefühlt war das Set etwas druckvoller unterwegs als bei meiner
ersten Begegnung mit dem Projekt auf dem audiotrauma fest. Feste
Industrialbeats erschallen, Stampfen ohne Unterlass wie man es vom
Werk erwartet, aber auch IDM-Titel sind mit eingesprengt oder
Ausflüge zu Tribal werden zwischen Kreischen an der Schmerzgrenze
und Noisegeballer unternommen. Eine beste Repräsentation dessen was
Rhythm'n'Noise ist und sein kann. Rückblickend daher verwunderlich,
dass sich der Auftritt nicht nachhaltig eingebrannt hat
Ob man etwas zu Iszoloscope vs. Mike
Goedrijk sagen muss? Künstlerisch ist der Auftritt sicherlich nicht
in besonderer Weise erwähnenswert. Verarbeitet wurden so ziemlich
alle elektronischen Tanzmusikgenres mit einem etwas angerauhten
Touch, der etwas wie Harsh Goa entstehen ließ. Dazu dann noch eine
Coverversion von Gonna make you sweat (Everybody dance now) und
Posieren, als ob man David Guetta wäre. So schlimm das klingt, Spaß
hat das trotzdem gemacht: Mir und vielen anderen. Und wenn das der
Weg ist, den man gehen will, dann sollen sie eben. Vielleicht nur der
Hinweis, das mit solch einem Set auch mehr als das Abklappern der
üblichen Szenefestivals möglich ist.
Nach dem Genuss eines Green-Burgers
bestehend aus gebratenen Auberginen und Avocadocreme ging es zum
letzten Act zurück. Mono No Aware spielte bereits. Der Bass hämmerte
hart rhythmisch-arhythmisch. Kleinere Spielereien entwickelten die
einzelnen Titel etwas, bei denen klar wurde, weshalb das Projekt bei
HANDS unter Vertrag ist. Endlos scheinendes Rumpeln - maschinell
wirkend - das sich in den Geist einbrennt und dabei über die Zeit
ganz eigene Melodien produziert. Anstatt mit wippenden Füßen wie
bei Udo Wiessmanns Winterkälte, wurd versucht eine
Energieübertragung zum Publikum nebst der Musik durch das Medium
nackter Oberkörper anzugehen. Und tatsächlich war hohe Energie
angesagt. Als letzter Act des Abends ballerte Mono No Aware das
Publikum bettreif. Vorne wurde getanzt, hinten wurde gewogt, während
die Boxen gaben was noch ging.
Ich war danach reichlich fertig. Dieses
Projekt zum Schluss war um diese Uhrzeit eigentlich schon zu viel. Da
fiel mir auch erst am nächsten Tag auf, dass auf den Flyern ja
eigentlich noch Noisuf-X stand. Ich kam auch ohne ihn gut aus. Über
die zu später Stunde geöffnete DnB-Party lief ich einmal kurz und
verschwand wieder: Schlafen, die Putzfrau des Hotels wollte um 11
putzen.
Der Samstag
Wieder machte der Generator vor dem
Einlass schlapp und an diesem Tag sollte es nicht das einzige Mal
bleiben.
An diesem Nachmittag weihten Syntech
die Bühne ein und boten in etwa das Gegenteil dessen, was ich tags
zuvor beim Start erwartet hatte. Oder das gleiche, aber aus einer
anderen Erwartungshaltung heraus? Statt dem erwarteten harten
Industrialgewitter wird es sphärisch einnehmend, wobei basslastiges
Maschinengestampfe natürlich nicht ausbleibt. Ein guter Start, wo
ich nur einen mäßigen erwartet hatte. Dieser Sound wirkte etwas
komplexer und überlegter als noch bei den früheren Alben von
Syntech.
Die danach performende Gruppe Mago
hatte ich bisher nicht auf dem Schirm, sie wusste allerdings zu
überzeugen. Die Mitglieder nahmen sich dabei zugunsten einer vor
ihnen aufgebauten Leinwand für Visuals zurück. Auf dieser wurden
Filme in schwarzweiß abgespielt. Ambient-Noise war angesagt, eine
gewisse theatralische Dramaturgie nicht ausgespart. In die vollen
Soundscapes woben sich die Lyrics, mal lauter, mal murmelnd
vorgetragen, in vorbildlicher Weise ein. Technische Fertigkeiten
zeigten sich in einer andauernd variierenden Klangkulisse.
Hoffentlich eine Gruppe von der in Zukunft noch mehr zu hören sein
wird. Einziges Manko: Auf dem DJ-Floor agierte zur gleichen zeit Dirk
Geiger mit ebenfalls ruhigen Klängen. Hier hätte man den Timetable
sicher besser setzen können.
Für danach hatte sich
ant-zen-Labelchef Stefan Alt mit brother in crime als SALT
angekündigt. Mit einem mit Tonabnehmer versehenen Cocktailshaker
war dieses Projekt auch das erste (Donnerstag ausgespart, da ich
darüber nichts sagen kann) Projekt, das bei der Klangerzeugung etwas
unkonventioneller zu Werke ging. Ein etwas an Musique Concrète
erinnerndes Intro, währenddessen das Künstlergetränk (Gin Tonic?)
gemischt wurde, stellte auf ein Set ein, das für Gourmets
elektronischer Musik gedacht war. Feine frisch klingende Rhythmiken,
Soundscapes, Sprachsamples aus Fernost, wenig tanzbar, aber umso
schöner. Mit Fiepen, Bass, Beats und Ambient war alles dabei, was
den Geist erweckt und dann... Stromausfall zwei des heutigen Tages.
Applaus, Restart und ein restliches Set, das nun natürlich auf einer
Pause statt der geleisteten Vorarbeit aufbauen musste. Es gelang
halbwegs und schloss mit einer etwas rohen Variante des
SALT-Klassikers Fear of Yellow. Merken tat man solch eine
Unterbrechung bei solch einem durchdachten Projekt aber stark.
Nach ordentlicher Aufbaupause sollte
Beinhaus spielen. Viel hatte ich von dieser Gruppe gehört und doch
auch wieder nicht. Der wenige Klang, der an meine Ohren gedrungen
war, traf nicht ganz meinen Geschmack, war aber auch nicht allein das
Entscheidende. Auf der Bühne standen Rohre, Blech, Schrott,
Plastiktonnen, Maurerkellen – das musste die Faszination des old
school Industrial gewesen sein. Was ich sah, war eine Show, die
allerdings nicht so sehr wie die Vorbilder des Genres auf Wut,
sondern mehr auf NDW und Dada aufbaute (und einem Laptop mit
Vibrationsproblem). Arhythmisch gedroschenes Blech, minimale Lyrics,
teilweise drastisch, teilweise mit Humor. Dazu eine funkenschlagende
Flex, deren glühende Erzeugnisse auf die nackten Oberkörper ihres
Bedieners und anderer Bandmitglieder trafen. Publikumsinteraktion
stand auch auf dem Programm: Scheppernd wurde durch die Meute
gegangen, ihnen Drumsticks zur Mitgestaltung überlassen. Wilde und
doch kalkulierte Störungen des Erwartbaren und Industrialbeats wie
sie klassischer nicht sein könnten machten dies zu einem äußerst
aparten Erlebnis.
Nette Entdeckung beim Shopping danach,
das wohl noch offiziell unveröffentlichte Album 2 von SALT war
bereits erhältlich, einmal mit Kunstdrucken und Download und einmal
mit Vinyl. Ant-zen wird die Tonträger also auch nach Blac Kolors
Nephi nicht ganz los. Ich holte mir Kunstdrucke mit Download und
hinterlegte sie am Merchstand. (Rezension davon folgt möglicherweise)
Der nächste Act erforderte nämlich
etwas Körpereinsatz: Es war Blac Kolor. Dieser 1-Release- HANDS-Act,
der digital dann doch noch zusätzlich bei sich oder ant-zen oder
a+w releast, war bereits bei der letzten Ausgabe dabei – als einer
der besseren Acts wohlgemerkt. Und leider mit einer Überschneidung
mit end.user, wenn das Gedächtnis nicht täuscht. Diesmal gab es
sowas nicht mehr, eine der besten Neuerungen des Festivals. Geboten
wurden zwar keine allzu großen Überraschungen, dafür mehr als
solider düsterer Techno. Entsprechend dessen wurde der Saal auch
ordentlich in Tanzlaune versetzt. Und was durfte dabei nicht fehlen?
Natürlich: Stromausfall N°3. Inzwischen war das Technikteam
eingespielt. Nach wenigen Minuten lief die Elektrik wieder und es
konnte weitergehen. Der Grafiker auf der Bühne heizte nun gefühlt
doppelt so stark ein und bekam das NOL tatsächlich nochmal in
Stimmung. Von den Befürchtungen die im Podcast zum Lauter Krach
Festival geäußert wurden, nämlich ein Schattendasein nach Beinhaus
zu fristen, blieb nichts übrig.
Nach etwas Wartezei kam mit Ah
Cama-Sotz to Gatto Nero wohl einer der bekanntesten Altvorderen des
Festivals. Ich hörte mir etwas den Stampfbeat mit Melodie dahinter
an: Gefällig. Und das war das Problem. Dazu: Stromausfall Nummer
vier, yay. Ich beschloss meine Kunstdrucke zu holen und machte einen
Abstecher zum Hotel, sodass ich pünktlich zum Schluss des Konzerts
wieder da war. Zum Abschied von der Bühne schunkelten die Menschen
hinter dem Raumklang- und audiophob-Stand: Sie wussten was abging.
Ich applaudierte dennoch artig bei meiner Wiederkunft.
Was jetzt noch folgte war Esplendor
Geometrico. Ich war etwas raus aus dem Flow, wechselte zwischen den
Floors. Die etwas stumpf wirkende Monotonie mit seltenen
Vocaleinsprengseln wirkte auf Anhieb nicht sonderlich reizvoll. Und
Udo Wiessmann als DJ war ein starker Konkurrent. Entsprechend war der
Dancefloor tatsächlich gut gefüllt. Ich lauschte und kehrte doch
wieder zurück zum Liveact, tanzte ironisch etwas mit und als der
Kreislauf wieder in Gang war doch ernsthaft. Aus Sedierung wurde
Hypnose. Dazu Visuals von Massenvolkstänzen aus Kaukasien oder dem
nahen Osten. Bis auf kurze Sekundenaussetzer der Beamer blieb man
dieses Mal von Technikfehlern verschont. Nachdem es diesmal sogar
Zugaben gab, dankte ich mit Applaus und verzog mich auf den
Dancefloor von Wiessmann und später auf die für Gäste des NOL nun
auch geöffnete Techno-Party. Props an die Djs Dave Phillips (nicht
der musique concrète Mensch) und through the night oder so, die
geschmettert haben, während unten der Retronaut in der Spätschicht
den klassischen Techno auflegte.
Um kurz vor zwei Uhr hatte ich
ausgefeiert, Zeit zum Schlafen für den Hotelcheckout.
Der Sonntag
Der Sonntag begann früh. Nach dem
Mittagessen bei einem thailändischen Restaurant mit
Butzenglasfenstern und ausgebleichter Aushängekarte ging es zurück
zum MS Connexion Complex, bei dem Mirko vom audiopho-Label als
Spherical Disrupted das Line-Up des Tages anführte.
Sphärisch, mit seltenen Beats
untersetzt, wurde zu Filmen der NASA die Space Night begangen. Trotz
kraftvoller Musik lag eine tiefe Ruhe im Set, welches unter
Unterstützung einer Klangschale ein- und ausgeleitet wurde. Ein Set,
das gefangen nahm auf eine leichtere Weise als es der teils düstere
Klang vermuten lässt. Am Ende wechselten die Visuals zu Konsequenzen
des Klimawandels. Ob das nicht zu spät war (höhö), bleibt
ungeklärt.
Man kann mir sagen, was man will, aber
der wohl herausragendste Act des Festivals waren Kaffee und Kuchen.
Die Kaffeetafel rief und alle kamen sie herbei, dass diesmal nicht
ein Schluck Kaffee und ein Stück Kuchen für den Kaffee und den
Kuchen bleiben sollte. Die diesmal in orangem Krepp eingewickelten
Meister des Krachs, Botschafter der Liebe in Windelhöschen und
Springerstiefeln, nahmen es mit Humor und zerschmissen eben was sonst
noch auf der Kaffeetafel stand, rieben die Kontaktmikros an allem was
ging, warfen die Stahlfässer, die sonst als Tische dienten umher
unter den teils ungläubigen, teils amüsierten Blicken des
Publikums, das sich dafür eingefunden hatte. Eine erneute
Energieleistung, die den Ausbruch aus der Biederkeit der Kaffeetafel
und allem Möglichem zelebrierte. Allein, es hätte noch lustiger
sein können, hätte man sich weniger gekannt und weniger erwartet.
Doch immerhin für genug Menschen war es eine sicher unvergessliche
Erfahrung.
Das Projekt Haus am Rand, das dem in
der Halle folgte versuchte mit tiefen getragenen Beats, Drones und
Hall auf der Stimme einen sakralen Charakter zu schaffen. Das wirkte
auf den allerersten Eindruck ergreifend, aber dann auch wieder
schnell ermüdend. Interessant wurde das ganze wieder in dem Moment
in dem dieses Konzept verworfen und auf Noisegefrickel, Bass und Hall
als Kompositionsmittel gesetzt wurde. Damit wurden Sounds
eindringlich, bekamen durch den langsamen Grundbeat eine besondere
Tiefe, aber auch durch stoßartiges Hauchen des Sängers. Alpine
Grenzenlosigkeit und Gefahr schwang mit in einem auf Emotionalität
setzenden Set. Dass einem die Messe am Ende schon zu kurz vorkam ist
nicht verwunderlich, auch wenn mit der Klangmacht etwas auf die
Herzschmerzkarte abgezielt wurde, wie man es vom Kino kennt.
Stampfende Rhythem im Wechsel mit
ruhigen experimentellen Passagen. Dass dies das Set von config.sys
prägen würde konnte man zu Beginn denken. Wer aber dachte, dass
dieses schwer zu erfassende Intellektualprogramm eine Fortsetzung
fände sah sich ab etwa dem ersten Viertel des Sets auf die Plätze
verwiesen. Knicklichtgeballer übernahm, was manche Teile des Saals
goutierten, andere nicht. Insgesamt in meinem Resümee ein recht
unspektakulärer Auftritt.
Die Müdigkeit von zweieinhalb Tagen
Programm setzte nun verstärkt ein, was Sanctum möglicherweise eine
schlechtere Wertung einhandelt, als sie es verdient haben. Die
Vierergruppe bot ordentlich Elektronik auf den Tischen (Pedale),
Synthie, Laptop und einer Reibeisenstimme. Mit einigen Klangflächen
und Noises gefüllte Lücken zwischen langsamen Bassabsonderungen
hätten das ganze interessant wirken lassen können, was bei mir aber
nicht so ankam. Daran änderten auch einige aufgerauhte Beats mit
Gegrowle nichts - dass der Boden bebte machte es nicht mitreißender.
Auch wenn die Gruppe ihre Fans gefunden zu haben schien, war es ob
der ähnlich wirkenden Strukturen der Tracks eher gleich dem
Durchhören der Best of DAF. Das Finale des Sets bot ein punktgenau
platzierter, bombastischer Stromausfall.
Nach dadurch verlängerter Pause trat
Imminent auf die Bühne und verschwand kurz darauf wieder: Im Nebel.
Bekannt war mir das Projekt durch unterkühlte, rhythmische Klänge
vom Projekt humanoides Problem. Solo war dies offenbar nicht ganz
wofür der Name steht. Harter Techno mit schnellen Sounds, minimalen
Wechseln einzelner Elemente: Tanzbar, aber intelligent genug nicht in
die Cybergoth-Ecke zu fallen. Das Noise Of Life wurde gefühlt zum
ersten Mal an diesem Tag richtig zum Leben erweckt. Kaum jemand blieb
noch still stehen, inklusive des hochaktiven Lichttechnikers, der
sich dank fehlender Visuals endlich einmal austoben durfte. Am
Zustand der Ekstase ändert auch ein weiterer Stromausfall nichts
mehr. Imminent spielte weiter und dank anhaltendem Applaus gab es
sogar noch die erste Zugabe des Abends, die ausgiebig gefeiert wurde.
Rückblickend der beste Act des Sonntags, natürlich nach Kaffee und
Kuchen versteht sich.
Es folgte der Soundcheck für
Trepaneringsritualen. Eine gefühlte halbe Stunde wurden die Pauken
gecheckt. Zeit für den Tanzflur. Ich kam rein: Stromausfall auf dem
Tanzflur. Also galt es weiter die Zeit totschlagen, zuschauen wie
letzte Checks gemacht wurden. Die Räucherstäbchen neben der
aufgestellten Bühnendekoration, die aus Schädel und Kerzenständer
bestand, bedufteten bereits den Saal. Ganz klar, wenn erst einmal der
Star des europäischen Industrial Ritual aufspielt würd es evil
werden - Ob bei 5 Jahren aufnahme + wiedergabe in Berlin oder eben in
Mannheim. Blutsack über dem Kopf, angerußter Drummer, Nebel: Es
ging los. Getragener Ambient vom Band und gelegentlicher Einsatz der
Drums, vor allem aber die absolut zerstörte Stimme des Frontmannes,
mal gehaucht, mal geshoutet, was hier wie gegrowlt klang, ließen das
ganze eindringlicher wirken als gedacht. Etwas, das bei den meisten
Projekten dieser Art nicht funktioniert, sei es weil die Stimme
vollkommen überzogen verzerrt wird, Gestiken übertrieben werden
oder sich Geräuschen bedient wird, nur um ihrer Wirkung auf
ungeschulte Ohren wegen oder man sich gar der Gruselkammer von vor 90
Jahren bedient. Hier stimmten Präsentation und Sound (und vermutlich
auch Text?) überein und bildeten ein organisches Gesamtbild. Gegen
Langeweile wurde es in späteren Teilen, nachdem auch der Kopfsack
abgelegt worden war auch etwas lebendiger. Ist Trepaneringsriualen
zwar immer noch kein Act für meinen Geschmack, kann man doch
attestieren, dass wenn man in diese Ritual /Martial /Okkult-Richtung
gehen möchte, man sich sicher an diesem Projekt ein Beispiel nehmen
kann. Da wird vieles richtig und wenig falsch gemacht.
Zu From Andreas Davids to Xotox kann
ich nicht mehr allzu viel sagen, da aufgrund anhaltender Müdigkeit
der Abend bald nach Beginn für mich beendet war. Es bleibt als
erwähnenswert vielleicht nur festzuhalten, dass anstatt auf schnöden
Cybergoth in diesem Set mehr auf Lyrics und eine kahle Soundkulisse
gesetzt wurde. Das schien sich zum Zeitpunkt des Verlassens der Halle
etwas zu wandeln, womit dann allerdings der Zeitpunkt der Heimfahrt
recht gut getroffen war. Die „F***IN* NOISIEST TIME“ meines
Lebens, womit der Noize of Life-Flyer geworben hatte, hatte ich da
auch so schon hinter mir.
Fazit
Aber was heißt das? Das NOL hatte sich
angeschickt die Rolle des eingestellten Maschinenfests zu übernehmen.
Ich habe die Chance leider nie ergriffen dieses Festival zu besuchen,
aber laut Aussagen einiger Anwesender hat das NOL diese Nachfolge
nicht ganz antreten können, vor allem hinsichtlich der
Besucherzahlen, die hoffentlich ausreichten eine weitere Ausgabe zu
rechtfertigen. Insgesamt war dies aber ein recht ansehnliches
Festival, mit, wie ich gehört habe, einem qualitativ hochwertigen
Donnerstag bei dem, wenn ich gekonnt hätte, mindestens Aphexia
mitnehmen hätte wollen und natürlich einem vollen Hauptprogramm,
das für die verschiedenen Geschmäcker des Noi(s|z)e-Genres
ordentlich etwas bot. Besonders für mich hervorzuheben Imminent,
Kaffee und Kuchen, Salt, mago, Spherical Disrupted und [basementgrrr]
sowie die Visuals, die von Carsten Stiller verantwortet wurden und
für ein funktionierendes Gesamtset einen guten Teil beigetragen
haben.
Weiterhin gut getan gegenüber der
letzten Ausgabe hat die Entzerrung des Programms auf vier Tage,
sodass die 1-Tages-Rosskur mit sich überschneidenden Acts diesmal
dankenswerterweise ausblieb. Auch das Programm wirkte dieses Mal
attraktiver: Größere Namen, aber auch qualitativer wirkende Acts.
Exemplarisch ha man eher langweilig wirkende ach so böse Acts wie
Chaos Cascade oder MDS51 rausgeworfen und für diese Fraktion mit
Trepaneringsritualen immerhin einen Act geholt, der das richtig
macht. Auch sonst gab es weniger an klassische Tanzformate
elektronischer Musik angelehnte Acts sowie weniger Cybergoth, was
grundsätzlich zu begrüßen ist, auch wenn einzelne Acts wie
end.user oder Shorai im letzten Jahr ordentlich Laune gemacht hatten.
Man hätte vielleicht auch noch ein paar audiotrauma-Acts dazuholen
können: Ein Label, das ich sowohl von den Künstlern als auch vom
Merchstand vermisst habe und das wohl, wie kurz nach dem NOL zu lesen
war, bis nächstes Jahr seinen Betrieb eingestellt haben wird.
Was die Stromprobleme angeht, sind
diese hoffentlich auf dieses Wochenende beschränkt gewesen aufgrund
Netzstörungen des Stromversorgers. Immerhin wurde es durch die
Notstromversorgung durch Dieselgeneratoren dann doch irgendwie zum
Maschinenfest.
Summa summarum war das Noize of Life
2019 ein Fest, für das ich gerne Zeit und Geld gegeben habe und das
so in Zukunft wohl wieder tun würde. Großen Dank dafür an alle
Beteiligten, die für die Ausrichtung zuständig waren, insbesondere
da investierte Arbeit sich in diesem Bereich nicht zwingend bezahlt
macht.
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