Sonntag, 1. April 2018

Arbeit? Arbeit Arbeit. Zur Arbeit I von RLW und PAAK

Zum Osterabend bin ich endlich einmal wach genug gewesen und habe die richtige Stimmung und Zeit gehabt, die Platte "Zur Arbeit I" auf den heimischen Teller zu legen. Zwar habe ich sie mir schon einmal zu Gemüte geführt seit den zwei Monaten, in denen sie in meinem Besitz ist, aber Genuss und Verständnis solcher Musik lassen dann doch etwas zu wünschen übrig, wenn man eigentlich schon dabei ist ins Bett zu fallen. Denn mit einer Sache kann man sich bei Veröffentlichungen des Augsburger Labels attenuation circuit sicher sein: Easy Listening bekommt man von dieser Seite nicht serviert. Und das ist auch gut so!
Gleichwohl hat man es in meinen Augen mit den vorliegenden Kompositionen mit Hintergrundmusik zu tun. Ein Zitat Karl Marx' bildet die einführenden Worte des Begleittextes der Platte. Der Arbeiter, "der seine eigene Haut zu Markt getragen hat und nun nichts andres zu erwarten hat als die - Gerberei", bildet den Leitgedanken des Albums, ergänzt um die Erleichterungen des 20. Jahrhunderts wie "Schnaps, Kantine & Sozialwohnung", zwei davon vertont auf dem Tonträger, die jedoch im 21. Jhdt. z.T. wieder wegfielen, zugunsten der Gerberei.

Bedeutungsschwangere Erklärungen zu Ralf Wehowsky, der hinter RLW steckt lasse ich einmal beiseite, da das von meiner Seite vorgeheucheltes Wissen wäre und jene, die dies erwarten, werden ja wohl selbst genug über ihn wissen.

Seite 1

Auf Schnaps jedenfalls jedenfalls kann man zwei unterschiedliche Motive erhören. Eines ist an der Straße mit geschäftigem Treiben zu verorten. Hupen, das Meer, etwas sirenenartiges (Anlieferverkehr?) ist zu vernehmen und wird abgelöst durch wirres Klaviergeklimper und umgekehrt. Arbeitsalltag und vermeintliche Erleichterung, zwei Teile, die mit vorbeischreitender Zeit immer weniger auseinanderzuhalten sind. Die klimpernden Phasen wirken dabei immer ekstatischer und nehmen Oberhand. Doch erhaben
Plitscheplatsche - welch feuchtfröhliches Cover
klingen sie nie, sondern stets billig, schräg, gedämpft und bieder, dabei jedoch auch aufdringlich. Eine Mischung aus gedämpftem Unterwassertotentanz à la Neue Rungholter Tänze, Sonntagsradio und mit späterem Einsetzen der Rhythmusbox auch Disco. Die konkreten Werkszenen lösen sich auf in dieser Masse, werden von Rauschen übertönt und verschwinden im weiteren Verlauf nahezu restlos in einem Delirium der Unterhaltung, in das falsch geblasene Engelsflötentöne gelockt haben. Klassische Streicher, vermutlich aus einem Kinoschinken, begleiten das Drama, bis es am Ende in lautem Rauschen und Wellenschlag endet. Blackout oder Kopf über der Toilette, wer weiß das schon? Gleichzeitig kommen wir wieder zurück in die Realität und damit vermutlich zur Arbeit. Wenig gruselig, doch etwas verstörend endet die Reise in tägliche Tristesse, durchbrochen von Genüssen, die eher sedierend denn erholend wirken. 

Seite 2


Es ist blau
Da kann dann vielleicht wenigstens die Kantine auf Seite 2 Abhilfe schaffen. Küchenchef dieser ist PAAK. Was dabei allerdings aus den Boxen hämmert, wirkt eher nach Arbeitermassen, die sich den Fleischtöpfen entgegenschieben. Wabernde Störgeräusche, Hämmern und Kratzen wirken eher, als sei man in einer Fabrikhalle. Einzigen Ruhepol bieten Gesprächsfetzen von Menschen, bei denen teilweise nicht klar auszumachen ist, ob mn es mit Gesprächen oder einem *omnomnom* als Zeichen schnellen Schlingens und Kauens zu tun hat. Als Komposition bietet der Titel eine leicht unheimliche Soundlandschaft, mit ein bisschen Veträumtheit und einem PVC-Boden-Charme Marke 70er Jahre.

"Arbeit, Arbeit, Arbeit. Arbeit? Arbeit!", so startet der letzte Titel des Albums "Gerberei". Dumpfe hallende Geräusche geben einen nicht mitreißenden Beat vor und mischen sich mit Arbeitsgeräuschen von Sägen und Signaltönen. Im ersten Abschnitt laut, dann immer gedämpfter, darüber gelegt eine triste getragene Melodei, die entfernt an den Schnaps von Seite 1 erinnert. Leicht beruhigt melancholisch gehen diese beiden Ströme eine Melange ein, dazu als Kommentar: "Arbeit? Arbeit, Arbeit, Arbeit." Alles verliert sich langsam mit etwas space-artigen Klängen und wiedereinsetzendem Anfangsbeat, dann kommt nach Pause Teil drei. Die melancholische Klangkulisse wird übertönt von nun wieder lauteren Werkgeräuschen, die nun wesentlich härter klingen. "Aaaarbeiit" tönt es dazu nun langsam und kraftlos. Die Haut scheint endgültig dem Markt geopfert zu sein. Etwas zieht es sich noch hin, dann ist es vorbei.

Fazit

Sie glauben an nichts mehr? Hier finden Sie Halt.
Was bleibt zu sagen: Eine Schallplatte, ein Kommentar und zwar kein positiv ausfallender über verlorene Arbeiter, die sich der Arbeit hingaben. Ernüchternde Darstellungen von vermeintlichen Segnungen, Orte vorausgeplanter Freude: Massennotbeglückungsanstalten für die Mittagspause, dazu nach Feierabend Produkte zur Ruhigstellung. Glück in geregelten Bahnen, Glück in Schnapsgläsern, die sich hier mit Wellengeräuschen reingekippt werden: Zur Arbeit I liefert keine großen Schrecken, keinen Mittelfinger an die Arbeit, aber dafür einige Szenarien klanglich umgesetzt, die trotzdem dem Motto "Arbeit ist scheiße" genügend Futter geben, nur auf eine äußerst dezente Weise.

Aber gibt es auch noch etwas außerhalb des Kommentars? Abgesehen von Botschaften ist die Stimmung, die diese Platte musikalisch innehat schwerer zu vermitteln und doch greift aus meiner Sicht heraus der Begriff 'erdend' am ehesten. So aufwühlend amelodisch Schnaps in Teilen auch ist, ist es doch der Anfang einer Spirale nach unten. Etwas aufwendiger als Ambient über zum Teil industrialartige Episoden und Klassik hinweg liefert diese Musique Concrète-Kollaboration ein unwohles Gefühl in der Magengrube kurz vor ins Bett schluchzen. Die perfekte Musik für den anspruchsvolle Musik liebenden Goth an einem Sonntagabend, bevor es am nächsten Tag wieder "zur Arbeit" geht und Zyniker, vielleicht auch noch ein paar andere Menschen.

Geliefert wird die Platte in dunklem, (schwer) durchsichtigem Blau mit Informationsblatt über Auflage, Beteiligte, verwendete Musikunstrumente und der eingangs erwähnten Erklärung. Dazu gibt es eine nummerierte Plastikhülle und einen Downloadcode.

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